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Die Magie der Ferne. Paul Hoffmann und die Laterna magica.

Aktualisiert: 1. Juli 2020

Heute sind wir daran gewöhnt, zu reisen wann und wohin wir wollen. Wir fühlen uns eingeschränkt, wenn das nicht möglich ist. Dabei liegt die Zeit, in der Reisen für die Mehrheit der Bevölkerung ohnehin zu kostspielig waren und nicht in Frage kamen, noch gar nicht lange hinter uns.

Das Verlangen nach Neuem und Exotischem wurde auf anderem Weg gestillt. Reiseberichte, Postkarten, Abenteuerromane, Fotografien. Die Möglichkeiten waren vielfältig. Sie waren anders als heute, aber der Grundgedanke war derselbe: Aus dem Alltagstrott ausbrechen, etwas erleben, Neues sehen, mitreden können.

Im 19. Jahrhundert war die Laterna magica ein Medium, das die Erwartungen des Publikums in dieser Hinsicht besonders gut bedienen konnte. Romantische Vollmondnächte und publikumswirksam dargestellte Sklavenzüge, detailgenaue Landkarten und ein hoher wissenschaftlicher Anspruch. Zwischen Kolonialismus, Romantik und Bildungsanspruch schwebten die Lichtbilder in den Laterna magica-Vorführungen von Paul Hoffmann. Ein Mann, der die Fremde nach Europa brachte und das Verlangen nach weiten Reisen stillte, obwohl er selbst nie exotische Länder betreten hat.


Die Funktionsweise der Laterna magica ist so wirkungsvoll wie simpel: Ahnlich wie bei einem Dia-Projektor werden eine Lichtquelle, ein transparenter Bildträger und ein Objektiv hintereinander angeordnet.

Die Laterna magica, wie wir sie heute verstehen, wird zum ersten Mal im 17. Jahrhundert greifbar. Verbreitung findet sie durch umherziehende Schausteller, die öffentliche und private Vorführungen mit ihren Geräten anbieten. Anfangs projizieren sie schlicht Standbilder, aber ab dem Ende des 18. Jahrhunderts werden die Darbietungen immer spektakulärer. Durch fahrbare Zauberlaternen scheinen die Darstellungen zu wachsen oder zu schrumpfen. Technische Neuerungen ermöglichen die Projektion auf Nebel. Es entstehen sogenannte Phantasmagorien, Geisterprojektionen, die das Publikum gleichermaßen beeindrucken wie erschrecken. In intellektuellen Kreisen bringen sie die Laterna magica in Verruf, aber der Begeisterung für die Vorführungen tut das keinen Abbruch.

Im 19. Jahrhundert wird die Technik weiter verbessert. Die Bildformate werden standardisiert, die Laterna magica wird auch für Privatpersonen erschwinglich. Panoramabilder lassen ganze Szenerien am Betrachter vorbeiziehen, durch immer komplexere Mechanismen können Teile des Bildes bewegt werden. Neue Überblendungstechniken machen beeindruckende Darstellungen von Naturkatastrophen und Übergängen zwischen Tag und Nacht oder verschiedenen Jahreszeiten möglich. Ganze Bildserien werden samt Begleittext verkauft und können auch im eigenen Heim der Unterhaltung dienen. Die Laterna magica wird zum Kinderspielzeug, sogar Anleitungen für den kostengünstigen Eigenbau sind verfügbar.


Die Vielfalt der dargestellten Themen kennt keine Grenzen. Schauerromantik, Literatur, religiöse Motive, Mythologie, Katastrophenberichte, Naturwissenschaft, reine Unterhaltung, moralische Belehrung. Kaum ein Lebensbereich, den die Laterna magica nicht an die Wände wirft.

Der Erfolg der Vorführungen steht und fällt mit dem Können des Vorführers. Gute Vorführer verstehen es, ihr Publikum in ihren Bann zu ziehen. Sie stellen ihr Können nicht nur durch ihre Erzählkunst unter Beweis, sondern sie führen auch die neueste Technik vor. Dabei behalten sie aber genügend Geheimnisse für sich, um die Vorführungen nichts von ihrer Magie verlieren zu lassen.


Einer, der es meisterhaft versteht, komplexe Themen für ein breites Publikum aufzubereiten, ist Paul Hoffmann. Geboren 1829 in einer Kleinstadt im heutigen Polen tritt er in die Fußstapfen seines Vaters und wird wie dieser Stadtuhrmacher. Damit geht auch technisches Interesse einher. Paul Hoffmann fertigt neben Uhren unter anderem Zauberlaternen und verkauft diese möglicherweise auch.

Und sein Interesse geht noch weiter: Gemeinsam mit seiner Frau Minna und seiner Laterna magica begibt er sich auf zahlreiche Reisen, die ihn quer durch die Habsburgermonarchie und bis nach Paris und London führen. Er begeistert das Publikum mit Vorführungen, die qualitativ ungewöhnlich hochwertig sind und einen hohen wissenschaftlichen Anspruch haben. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist auch Minna als Vorführerin tätig. Paul Hoffmann scheint über ein besonderes Talent zu verfügen. Er schafft es, komplexe Themen verständlich aufzubereiten und sein Publikum damit nicht nur zu belehren, sondern auch zu unterhalten.


"Über die Trefflichkeit und wissenschaftliche Genauigkeit der überraschend schönen, prächtigen Tableaux, so wie über die Schärfe und Kraft des Beleuchtungs-Apparates hat sich die ganze hiesige Presse bereits ausgesprochen. Schon ein flüchtiger Blick auf das Programm, auf die scientistische Eintheilung und Anordnung weckt eine günstige Meinung und liefert den Beweis, daß Herr Professor Hoffmann nicht durch Speculation auf Neugierde die Wissenschaft profanirt, sondern rein nur auf die Intelligenz des Publikums zählt."

- Wiener Theaterzeitung, 18. Juli 1858



Um ein besseres Bild von diesen Vorführungen zu bekommen, tauchen wir noch ein wenig tiefer in den Alltag des 19. Jahrhunderts ein.

Hoffmann ist mit seinen Darbietungen immer wieder zu Gast in verschiedenen Wiener Theatern. Zum ersten Mal hält er sich vermutlich im Sommer 1858 in der Stadt auf und bietet im Josefstädter Theater fünfzig Vorstellung zum Thema Geologie und sechzehn Vorführungen über Astronomie an. Nur acht Jahre später tritt er schon mit seiner 300. Aufführung in Wien auf. Die Kritiken, die er erhält, sind durchwegs positiv.

Hoffmanns zweistündige Vorführungen beginnen üblicherweise zwischen sieben und halb acht Uhr abends und ziehen ein gemischtes, hauptsächlich gutbürgerliches, Publikum an. Darunter sind auch Akademiker, vor allem sind es aber technisch und wissenschaftlich interessierte Laien. Schüler werden mit vergünstigten Preisen gelockt.

Die hohe Qualität von Paul Hoffmanns Vorführungen hängt nicht nur mit seinem Wissen zusammen, sondern auch mit seinen hochwertigen Bildern. Mit ihrem großen Durchmesser von etwa 11 cm sind sie eine Seltenheit. Die Künstler, die solche Laternenbilder herstellten, sind üblicherweise nicht bekannt und so verhält es sich auch in diesem Fall. Es ist durchaus möglich, dass Paul Hoffmann sie zumindest zum Teil selbst angefertigt hat. Belegt werden kann diese Annahme aber nicht. Abgesehen von der hohen künstlerischen Qualität stellen Hoffmanns Bilder auch eine Besonderheit dar, da es sich um eine der wenigen beinahe vollständig erhaltenen Sammlungen eines Vorführers handelt.


Auch wenn wir heute nicht mehr feststellen können, wer der Künstler war – einen Teil von Paul Hoffmanns Vorlagen kennen wir. Bei einem großen Teil seiner Sammlung handelt es sich um Reisebilder. Wir befinden uns in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts; in einer Zeit, in der die Beliebtheit von Reiseberichten gemeinsam mit der Mobilität der Menschen ansteigt. Der frühe Tourismus keimt auf, erste Reisehandbücher – beispielsweise aus dem Verlag Baedeker – werden veröffentlicht. Jene, die es sich nicht leisten können, selbst zu reisen, stillen ihre Sehnsucht nach der Ferne mit Büchern, Zeitschriften und Vorführungen wie denen Paul Hoffmanns.

Hoffmann findet seine Vorlagen hauptsächlich in Büchern aus dem Spamer-Verlag. Dieser Verlag hat sich dasselbe Ziel gesetzt wie er selbst: Wissenschaftliche Genauigkeit und eine Ausrichtung auf interessierte Laien. Teilweise übernimmt Hoffmann seine Texte wörtlich aus den Spamerschen Büchern. Er behandelt insgesamt vier verschiedene Reiseberichte: eine Reise nach Zentralafrika, nach Sibirien und Zentralasien, nach Ägypten und Franklins Nordpol-Expedition. Auf die ersten drei wollen wir jetzt einen näheren Blick werfen.


"Die geologischen Vorstellungen des Herrn Professors Paul Hoffmann üben eine große Zugkraft aus; trotzdem schon beinahe 40 Vorstellungen gegeben sind, ist der Besuch fortwährend im Zunehmen. Die Vorstellungen selbst, streng wissenschaftlichen Forderungen entsprechend, sind von hohem Interesse."

- Wiener Theaterzeitung, 18. Juli 1858


Ägypten darf in dieser Reihe natürlich nicht fehlen. Der Orient wurde nicht wie viele andere Regionen der Welt erst von den Europäern „entdeckt“, sondern war schon lange fest in den Köpfen verankert. Hoffmanns Ausflug ist aufgebaut wie eine klassische Ägyptenreise dieser Zeit: Beginnend in Alexandria geht es mit dem Boot nilaufwärts bis nach Nubien. Um seine Glaubwürdigkeit zu unterstreichen, verwendet Hoffmann hier nicht nur gemalte Laternenbilder, sondern auch Fotos. Der Titel „Ägypten und das Nilthal vor 4000 Jahren und jetzt“ verspricht allerdings ein wenig mehr als tatsächlich gezeigt wird, denn die Darstellungen Ägyptens vor 4000 Jahren beschränken sich auf eine einzige Ansicht Thebens zur genannten Zeit.

Ausgehend von Alexandria führt Hoffmanns imaginäre Reise nun also vorbei an den Pyramiden von Gizeh, den Tempeln von Theben und Karnak und den Memnonkolossen bis zum Felsentempel von Abu Simbel. Neben all den Sehenswürdigkeiten werden auch Flora und Fauna gezeigt, unter anderem in Form von Nilpferden und der üppigen Vegetation am Nil. Die Bilder sind romantisch und lieblich. Sie bedienen, ähnlich wie die Postkarten dieser Zeit, die schon bestehenden Erwartungen der Europäer.


Mit Hoffmanns Bericht über die Reise nach Zentralafrika verhält es sich ein wenig anders. Er behandelt im Großen und Ganzen die Expedition des Botanikers und Astronomen Eduard Vogel, der in den 1850er Jahren gemeinsam mit anderen Forschern in Zentralafrika unterwegs war. Vogel sollte astronomische Beobachtungen anstellen, den Tschadsee vermessen und botanische und zoologische Funde in die Heimat schicken. Das war es jedenfalls, was der Wissenschaftler selbst wusste. Inwiefern ihm bekannt war, dass bei dieser Expedition eigentlich kolonialistische Interessen im Vordergrund standen und mögliche neue Märkte erkundet werden sollen, kann heute nicht mehr nachvollzogen werden.

Gewiss ist, dass die Expedition im Hochsommer 1853 auf dem Seeweg nach Tripolis gelangte. Von dort aus bahnte sie sich mit einer Karawane den Weg durch die Sahara bis an den Tschad-See. Im Jahr 1857 endet die Gewissheit. Eduard Vogel stirbt in Wadai, vermutlich wird er von Eingeborenen ermordet. Der Autor von Hoffmanns Buchvorlage hofft bei Erscheinen des Buches im Jahr 1860 noch auf eine Heimkehr des Forschers. Diese Hoffnung soll sich nicht erfüllen.

Paul Hoffmann schildert Vogels Reise von Beginn an, darunter auch einen der gefährlichsten Abschnitte durch die Wüste von Tintumna, wo der Karawanenweg häufig von Flugsand verweht wurde. Hier werden die Erwartungen der Zuseher erfüllt, indem Sklavenzüge zu sehen sind. Es kam durchaus vor, dass stärkere einheimische Stämme die schwächeren versklavten und nach Norden trieben, wo diese verkauft wurden. Auch ihnen stand der gefürchtete Weg durch die Wüste von Tintumna bevor.

Was hier trotz allem wissenschaftlichen Anspruch aber fehlt, sind beispielsweise Vogels Erkenntnisse über den Fessanwurm – mit diesen behelligte Hoffmann sein Publikum offenbar nicht. Die Tierwelt findet erst in Zusammenhang mit dem Tschadsee Erwähnung. Hier ist sie für den Laien auch wesentlich beeindruckender: Elefant, Nilpferd, Löwe, Krokodil, Nashorn und Büffel werden gezeigt – die typischen Großtierarten der Gegend. Vogelwelt und Flora dürfen ebenfalls nicht fehlen. Diese Darstellungen eines paradiesischen Naturzustandes sind genauso wie Abbildungen des „Edlen Wilden“ typisch für die westliche Kunst dieser Zeit: fremde Völker und Regionen wurden gerne idealisiert.


Zeitlich ein wenig früher angesiedelt, aber der Zentralafrika-Expedition dennoch ähnlich ist Hoffmanns Vortrag über Zentralasien. Er orientiert sich ebenfalls an einem Buch aus dem Spamer-Verlag und schildert hauptsächlich die Reise von Thomas Witlam Atkinson und seiner Frau von St. Petersburg bis in die Mongolei in den Jahren 1844 bis 1852.

Hoffmann nimmt hier jedoch im Vergleich zum Spamer-Verlag eine Änderung vor: Wo man im Original noch hauptsächlich asiatische Figuren sieht, sind es auf den Laternenbildern Europäer. Dies kann als Hinweis auf eine Tendenz zur europäischen Inbesitznahme der fremden Länder gesehen werden.

Die Reise wird geschildert mit zahlreichen idyllischen Landschaftsbildern, darunter auch Darstellungen von romantischen Vollmondnächten und beeindruckenden Gebirgsszenerien. Fremde Kulturen dürfen nicht fehlen, wobei sich manche Darstellungen hier recht ähnlich sind, auch wenn die gezeigten Volksgruppen geographisch in Wirklichkeit weit auseinander leben. Abenteuerliche Elemente fehlen beispielsweise mit einer Schlittenfahrt im Schneegestöber ebenfalls nicht. Hoffmanns wissenschaftlicher Anspruch zeigt sich hier vor allem in der Verwendung von Karten, mit denen er seinem Publikum einen geographischen Überblick gibt. Diese kommen in den Spamerschen Büchern seltener vor.


In Hoffmanns Darstellungen entdecken wir die positive Faszination, die das Fremde ausüben kann. Sie weckt Sehnsucht und Fernweh. Gleichzeitig weisen die Bilder trotz Hoffmanns Bemühen um eine wissenschaftliche Darstellung pittoresk-romantische, orientalistische und kolonialistische Züge auf, die für seine Zeit typisch sind.

Reisen in ferne Länder locken die Menschen schon lange. Möglich waren und sind sie nicht immer, aber damals wie heute wurden Möglichkeiten gefunden, um diese Sehnsucht zu stillen. Paul Hoffmanns Laterna magica-Vorführungen waren nur eine davon. Allerdings eine, die bis heute zu faszinieren weiß.



 

Literaturtipp:

„Laterna magica. Lichtbilder aus Menschenwelt und Götterwelt“ von Detlev Hoffmann und Almut Junker, 1982.

Dieser wunderschöne, großformatige Bildband mit zahlreichen farbigen Darstellungen von Paul Hoffmanns Laternenbildern lässt die Vorführungen wieder lebendig werden. Wunderbar zum Blättern, Träumen und um auf Gedankenreisen gehen… Das Buch wird zwar nicht mehr aufgelegt, ist aber immer wieder gebraucht verfügbar.


Web-Tipp:

"Die verlorene Kultur der Blackfoot in Montana" - Die Laterna magica-Bilder von Walter McClintock


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